Unconditional Teaching start

Projekt

Tyll Zybura, 3. November 2022

Was ist Unconditional Teaching? Hier geben wir einen Überblick über die Ziele, Werte und Prämissen unseres Projekts.

Unconditional Teaching ist ein Beitrag zu der wachsenden Zahl von Forderungen nach einer Reform der Bildungspraxis an Hochschulen und Schulen.

Das Ziel unserer Arbeit ist die positive Entwicklung alternativer Lehrpraktiken: Praktiken, die die schädlichen Auswirkungen institutioneller Hierarchien und Machtstrukturen auf Lehr-Lern-Beziehungen dekonstruieren, abmildern und vielleicht sogar heilen können und stattdessen Raum für beziehungsreiches, kollaboratives Lehren und Lernen schaffen.

Mit unseren Essays, Podcasts, Workshops und Vorträgen möchten wir andere Lehrende inspirieren und ermutigen, sich kritisch im unvollkommenen Bildungssystem zu positionieren und Wege auszuprobieren, wie sie selbstwirksam Widerstand leisten können.

Unsere eigene Lehrpraxis ruht auf drei Hauptpfeilern:

  • Kommunikation, Lösungsfokus, Achtsamkeit: Bedingungen guter Lehre stärken. Gute Lehre basiert auf wertschätzender Kommunikation und respektvollem Beziehungsaufbau im Seminar und in Sprechstunden – das ist gut für Studierende, aber auch für uns als Lehrende. Wir haben uns zu Expert*innen für Strategien gemacht, die dabei helfen, empathisch und bedürfnisorientiert mit Studierenden zu kommunizieren, um produktive Lehr-Lern-Umgebungen zu schaffen.

  • Innovation, Inspiration, Partizipation: Lehre kreativ gestalten, gemeinsam mit Studierenden. Seien es Studierendenkonferenzen, Projektseminare, Writers’ Rooms, Team Teaching – wir haben viel Erfahrung mit innovativen Lehrformaten, die Partizipation, Kollaboration und Mitgestaltung fördern. Aber auch für traditionelle Seminarformate haben wir viele niedrigschwellige Methoden entwickelt, um Studierende als selbstbestimmte Lernende ernst zu nehmen.

  • Wissenschaftliches Schreiben und Feedback: Selbstwirksamkeit fördern. Wissenschaftliches Arbeiten erfordert die Freiheit zu Kreativität und Risiko. Wir gestalten unsere Betreuung und Bewertung der Schreibprozesse von Studierenden so, dass sie sich als Forschende mit eigenem Erkenntnisinteresse sehen können und sich in die Diskursgemeinschaft eingeladen fühlen. Die nachweislich schädlichen Auswirkungen unserer Benotungspraxis versuchen wir durch Revisionsorientierung und kollegiale Peer-Reviews abzumildern.

Was ist Unconditional Teaching – bedingungslose Lehre?

In bedingungslosen Beziehungen muss der Status der Beziehungspartner*innen (in unserem Fall: der Status von Lehrenden und Lernenden) nicht durch eine Leistung erworben werden. Bedingungslose Beziehungen sind durch Würde, Teilhabe, Vertrauen und existenzielle Sicherheit bestimmt. Bedingungslos Lehrende behandeln Lernende als Subjekte und Expert*innen ihres eigenen Lernens, akzeptieren sie in ihren Zielen und Prioritäten und zeigen ein nicht-direktives, bedürfnisorientiertes Interesse daran, was Lernende zum Lernen brauchen.

Unconditional Teaching als Haltung liegen die folgenden Werte zugrunde:

Gleichwürdigkeit

Wir verwechseln die Würde von Lernenden nicht mit ihrer akademischen Leistung. Unsere Studierenden müssen nichts dafür tun oder leisten, um von uns gewertschätzt zu werden.

Bedingungslose Lehre sieht Studierende insbesondere nicht als Prüflinge und Lehrende nicht als Prüfer*innen. Beide Rollen können wir im gegenwärtigen Bildungssystem nicht vollständig ablegen, aber sie sind ein kontingenter, kein intrinsischer Teil von Lehr- und Lern-Prozessen und müssen deshalb nicht unsere Lehr-Lern-Beziehung bestimmen.

Stattdessen wird bedingungsloses Lehren bestimmt durch die Annahme menschlicher Gleichwürdigkeit von Lehrenden und Lernenden. Diese Gleichwürdigkeit zu respektieren erlaubt es uns, unsere eigene hierarchische Machtposition und unsere Privilegien loszulassen, sie nicht so offensiv zu performen, wie die Bildungsinstitutionen das von uns verlangen, und stattdessen freier, kollegialer, mehr auf Augenhöhe – menschlicher – mit unseren Studierenden zu kommunizieren.

Radikale Akzeptanz

Wir sehen Studierende als Individuen und akzeptieren sie radikal in ihrer Diversität, ihren aktuellen Prioritäten und ihren langfristigen Lebenszielen.

Bedingungslose Lehre investiert sich nicht in Wunschvorstellungen davon, wie Studierende zu sein oder zu lernen haben, was sie leisten, was sie anstreben oder welches „Potenzial“ sie verwirklichen sollten. Wir arbeiten stattdessen mit individuellen Lebenswirklichkeiten und gehen davon aus, dass alle Studierenden – genauso wie wir selbst – das Beste in unsere Seminare hineingeben, was sie zum jetzigen Zeitpunkt beitragen können.

Radikale Akzeptanz ist eine Erleichterung für uns selbst, denn sie erlaubt es uns, weniger normativ oder direktiv über das Lernen unserer Studierenden zu denken. Wir können das Lernen in der Verantwortung unserer Lernenden belassen und uns auf unsere Verantwortung für die Prozesse besinnen, die ihnen beim Lernen möglichst nützlich sind.

Bedürfnisorientierung

Als Lehrende sehen wir uns in der Verantwortung, die Bedürfnisse aktiv zu erfragen und ernst zu nehmen, die Studierende für das Gelingen ihres Lernens haben.

Bedingungslose Lehre trifft keine Annahmen darüber, wie Lernen „am besten“ geschieht und verordnet dieses Lernen alles Studierenden. Stattdessen behandeln wir Studierende als Expert*innen ihres eigenen Lernens. Wir lassen uns von dieser Expertise darin leiten, wie wir Lernkontexte gestalten können, in denen Studierende ihre vorhandenen Strategien und Ressourcen entfalten können.

Bedürfnisorientierte Kommunikation erlaubt es uns auch als Lehrende, unsere Bedürfnisse für gute Lehre zu formulieren und Studierende um Mithilfe bei unserer Arbeit zu bitten.

Beziehungsreichtum

Bildung ist ein zwischenmenschliches, gemeinschaftliches Projekt. Als Lehrende haben wir die Verantwortung, durch authentische und wertschätzende Kommunikation eine wohltuende Lehr-Lern-Beziehung zu schaffen.

Bedingungslose Lehre muss dazu die schädlichen institutionalisierten Machtstrukturen von Bildung dekonstruieren, Privilegien aktiv und im Austausch mit Studierenden hinterfragen, abbauen und übergeben, Partizipation und Chancengerechtigkeit ermöglichen.

Das geht leichter, wenn man sich professionelle Techniken wie gewaltfreie Kommunikation, lösungsfokussiertes Fragen oder empathisches Handeln aneignet. Aber eigentlich braucht es nur den Willen, zu Lernenden in eine Beziehung zu treten, in der das gemeinsame Menschsein wichtiger ist als Didaktik, Lernziele und Bewertung.